Brexit – unsere Chance, gemeinsam gesellschaftliche Transformation zu gestalten.
Wir sollten dieses Votum genau analysieren und erst danach wohl überlegt handeln. Sonst verpassen wir eine einmalige Chance, die gesellschaftliche Transformation, in der wir uns global befinden, erfolgreich und friedvoll zu gestalten. 1989 ist es uns gelungen. Mit der Wiedervereinigung und der „Befreiung des Ostblocks“ hin zu mehr Demokratie wurden Veränderungen möglich, die völlig unrealistisch erschienen. Dieser Umbruch konnte nur gemeinsam bewältigt werden. Sind wir heute noch einmal dazu in der Lage? Wo finden wir die Persönlichkeiten, die diesen Prozess verantwortungsvoll vorantreiben?
Die Briten haben Ihr Votum abgegeben? Aber wofür? Oder wogegen? Ist es wirklich ein Entscheid gegen Europa?
Ich sehe darin eine Absage an die Herrschenden, die Führenden, die selbsternannten Eliten, die Regeln nach Ihrem Gutdünken gestalten und sie bei Bedarf anpassen – brechen – ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Damit verletzten sie immer wieder ein tief sitzendes Gefühl von Fairness. (z.B. Prof. Ernst Fehr, Universität Zürich: Foundation of Human Sociality). Lange, zu lange haben wir alle das akzeptiert- manchmal sogar bewundert! (FIFA, VW, …??)
Europa eignet sich gut als „fassbarer Gegner“. Es ist weit genug weg, sodass man selbst „unschuldig“ sein kann. Denn auch wir Bürger untergraben durch unser Verhalten, die Funktionsfähigkeit von Sozialstaaten. Durch „kleine Betrügereien“ schädigen wir Versicherungssysteme oder reduzieren unsere „Steuerlast“. Andere müssen dafür mitbezahlen. Wir forcieren damit die wachsende Kontrollwut und verschwenden somit Ressourcen für nicht wertschöpfende Tätigkeiten. Dieses Geld fehlt uns z.B. für die Sanierung von Schulen oder bessere Bildungsangebote.
Sozialsysteme haben eine wesentliche Grundannahme unter denen sie nur funktionieren können. Sie werden äußerst sparsam, im Notfall in Anspruch genommen. Und wie ist es heute?
Aber dieses Brexit Votum, das in allen Staaten der EU ähnlich hätte verlaufen können, macht noch mehr deutlich. Die vielen Risse in unseren Gesellschaften – zwischen jung und alt, Stadt und Land, gebildet – weniger gebildet, unberechtigt reich und Mittelschicht,…… sind ganz offentsichtlich geworden. Wie gehen wir damit zukünftig um, wenn wir in einer freien, offenen und friedvollen Gesellschaft leben wollen?
Gefühlt leben wir heute in „demokratischen Feudalsystemem“. Anstatt der früher eindeutig zu benennenden Fürsten und Institutionen, die sich offen die Macht genommen haben, geschieht es heute im Stillen. Die Abläufe und Entscheidungen werden immer undurchsichtiger. Die „Lösungen“ werden dann durch eine plakative, stark vereinfachende Medienpolitik und „Experten“ als Gut für uns alle verkauft. Aber das glaubt keiner mehr. Zu oft haben Experten sich geirrt. Viele Lösungen sind keine. Das nächste Problem ist schon erkennbar. Das Vertrauen ist zerstört. Vertrauen soll durch Gesetze und Regeln ersetzt werden und treibt die Kosten und Ineffizienzen sowie Demotivation weiter nach oben. Wann sind wir endlich bereit, diesen Kreislauf zu durchbrechen?
Warum fordern wir nicht ein, dass man die „ach so komplexen “ Zusammenhänge erläutert, Möglichkeiten und Grenzen darstellt. Nur wenn wir miteinander reden, unsere Sichtweisen, unsere Überlegungen austauschen, haben wir eine Chance im Gespräch eine Antwort zu finden. Ja, das braucht Zeit, zu Beginn, aber beschleunigt Entscheidungen später deutlich.
Auch Führung darf und sollte zugeben, dass ihre Möglichkeiten zu freien, „souveränen“ Entscheidungen begrenzt sind. Sie nicht für alles eine sofortige Antwort hat und die Wirkung getroffener Maßnahmen von vielen Anderen und deren Reaktionen abhängt. Der Wunsch nach eindeutigen Entscheidungen deren Wirkung genau vorhergesagt werden kann, ist verständlich, aber in sozial und wirtschaftlich hochvernetzten Systemen eine Illusion.
Daher sollten wir den „Vereinfachern“ eine Absage erteilen anstatt die zu „bestrafen“, die eingestehen, dass man für die Lösung heute akuter Probleme ähnlich lange braucht wie ihre Entstehung gedauert hat. Tragfähige Änderungen z.B. durch eine neue, fairere Wirtschaftsordnung brauchen die Zusammenarbeit von vielen Staaten. Auch wenn es so einfach erscheint, einen Zaun zu bauen.. (z.B. Migration) – er löst kein Problem dauerhaft.
Mit Offenheit, mit dem Eingeständnis, nicht immer alles zu wissen, nicht sofort eine Antwort zu haben, aber sich ernsthaft darum zu bemühen, gewinnt Mann & Frau wieder Glaubwürdigkeit. Daher wäre es gut, gerade jetzt eine Pause einzulegen, den Brexit, dessen Zustandekommen genauer verstehen zu wollen, dem britischen Volk Zeit einzuräumen, um eine interne Lösung zu finden. Das Brexit Votum ist die Chance, die gesellschaftliche Transformation bei uns, in Europa und global zugestalten. Wir sollten diese Chance nicht vergeben! Die schnelle Lösung, die viele in der EU Führung trotzig fordern, ist eher ein Ausdruck von Kurzsichtigkeit – wieder einmal die Demonstration „falscher“ Handlungsfähigkeit. Nachdenken wäre jetzt angemessener!
Wer seine Bürger nicht informiert, nicht ernst nimmt und fordert, kann noch so oft „einen Aufstand der Mittelschicht“ (M.Schulz, Präsident des EU Parlaments) fordern. Er hat am Ende unpolitische Bürger, die leicht durch „Rattenfänger“ für ihre persönlichen Interessen zu gewinnen sind. Dies erleben wir seit einiger Zeit in vielen „alten“ Demokratien USA, Frankreich, Deutschland, in „jungen“ wie Ungarn und Polen oder in scheinbaren – wie in der Türkei. Wann beginnen wir endlich, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen? Aber mit Vernunft, Verstand und Verantwortung!
Am britischen Votum besonders interessant sind die Tage nach dem Votum. Die Kurzsichtigkeit und mangelnde Vorbereitung gerade der Befürworter des „LEAVE“ wird überdeutlich. Sie waren und sind sich der Konsequenzen und der erforderlichen Entscheidungen und Maßnahmen überhaupt nicht bewusst. Erschreckend und entlarvend ! Sie sollten geschlossen abtreten, denn zur Führung sind sie ungeeignet!
Was folgt nun daraus? Wir Bürger sollten aktiv in einen politischen Dialog um unsere gemeinsame europäische Zukunft eintreten, die Veränderungen gestalten, eine neue, stärkere Rolle für uns einfordern und Verantwortung übernehmen.
Wer eine faire, offene Zukunft nicht nur in Europa möchte, muss sich einmischen. Wer Freiheit und Frieden bewahren will, muss sich mit den Chancen und Risiken einer hochvernetzten Welt aktiv auseinandersetzen ebenso wie mit den Rahmenbedingungen der herrschenden Wirtschaftsordnung. Wie können wir sie so weiterentwickeln, dass mehr Menschen ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben leben können. Demokratie braucht politische Bürger und nicht nur „Business People“ und Berufspolitiker!
Wir befinden uns in einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation, die neue Politikgestaltungs- und Entscheidungsprozesse verlangt – mehr direkte Demokratie – aber mit Verantwortung. Nein sagen, reicht nicht! Durchdachte Vorschläge werden gebraucht.
Wir brauchen weniger Kontrolle, Überwachung, Zentralisierung und Top Down Entscheidungen, weniger Paternalismus aber mehr Bürger- und Mitarbeiterbefähigung, (selbst)-vertrauende, urteils – und entscheidungsfähige Bürger und Mitarbeiter.
Komplexität erfordert dezentrale, termingerechte, kontextspezifische Entscheidungen. Dies setzt mehr Vorausschau durch Viele voraus. Das Zeitalter der einfachen Antworten in der Instant Gesellschaft – heute gedacht- morgen gemacht und übermorgen schon die Wirkung erzielt – ist vorbei.
Lassen Sie uns gemeinsam neues Vertrauen erarbeiten, um unsere Länder, Europa und die Welt friedvoll und fair weiterzuentwickeln. Unsere Kulturen sind verschieden und das macht die Welt erst wirklich spannend. Aber wir müssen üben, diese Unterschiede bewußt bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen, damit wir hinterher keine Überraschungen erleben. Trotz dieser kulturellen Unterscheide gibt es wesentliche Gemeinsamkeiten, auf die wir bauen sollten.
Welche Ideen, Vorschläge haben Sie? Was tun Sie bereits? Wo kann man mitmachen? – Ein erster Schritt für einen Dialog!